Podcast Skript - leicht bearbeitet:
In den letzten Jahrzehnten lässt sich öfter merken, dass die allgemeine Ablehnung des Begriffs “Wahrheit” immer stärker wird. Es ist wohl auch niemandem entgangen, dass es dem westlichen Individuum immer schwerer fällt, sich als fähig anzumaßen, eine halbwegs objektive Beurteilung über Realität zu geben. Der eine sieht es so, der andere sieht es so - wer maßt sich an zu sagen, welche Recht hat? Das kommt uns allen ganz bekannt vor. Weil diese Einstellung aber geistesgeschichtlich gesehen ziemlich radikal und neu ist, lohnt es sich etwas genauer hinzugucken. Was steckt dahinter?
Ich werde hier einige meiner Gedanken zum gesellschaftlichen Phänomen des Relativismus besprechen und auch etwas oberflächlich auf seine intellektuellen Wurzeln eingehen. Am Ende werde ich meine persönliche Perspektive als Christ zu dieser Herausforderung darstellen.
Man lernt nebenbei viel über die allgemeine Weltanschauung der Öffentlichkeit durch die Nutzung der Sozialen Medien. Vor allem in kontinentalen Europa stelle ich häufig fest, dass viele, sobald der Begriff der objektiven Wahrheit oder sogar der Wahrheit selbst implizit oder explizit erwähnt wird, dazu neigen, sich aufzuregen und das Gesagte abzulehnen. Fast so, als hätte derjenige, der sich auf diesen Begriff beruft, eine Art Todsünde begangen. Wie ist es dazu gekommen und was ist die wesentliche Idee dahinter?
Objektive Wahrheit?
Was ist der Begriff der objektiven Wahrheit? Im Grunde ist es die Vorstellung, dass eine Idee die reale Welt so wiedergibt, wie sie wirklich ist. Sie ist dann objektiv in dem Sinne, dass sie sich über bloße Gefühle oder Wahrnehmungen erhebt und mit etwas in Berührung kommt, das über uns steht- nämlich mit der realen Welt.
Es wird dem Leser keine Überraschung sein, zu hören, dass die Mehrheit der Menschen in der westlichen Welt immer noch glaubt, dass die Naturwissenschaft uns eine objektive Wahrheit liefern kann, weil sie darauf ausgerichtet ist, die Welt so zu beschreiben, wie sie wirklich ist, und nicht nur so, wie wir sie uns subjektiv vorstellen. Das ist eigentlich das Ziel aller Wissenschaften, aber aus zweifelhaften und oft unbewussten philosophischen Gründen vertrauen die meisten Menschen heute noch fast ausschließlich den Naturwissenschaften.
Vielleicht hältst Du diesen allgemeinen relativistischen Trend für schlichtweg absurd. Wahrheit ist Wahrheit, weil sie eben wahr ist, und nicht, weil wir sie bevorzugen oder unter unserer Kontrolle haben. Oder, vielleicht glaubst Du eher, dass es sehr gute Gründe für diese Entwicklung im Denken gibt, die oft nicht anerkannt werden.
Ein Mittelweg
Ich werde hier versuchen, einen versöhnlichen Mittelweg zwischen diesen Ansichten zu finden. Ich denke, beide ergeben Einsichten, die ziemlich wichtig sind und die nicht vernachlässigt werden dürfen. Diese Einsichten können aber auch zu unangemessenen Auswüchsen führen, wenn sie die anderen nicht berücksichtigen.
Auf der einen Seite steht die Ideologie des Realismus. Die allgemeine Idee ist, dass objektive Wahrheiten wie “1+1= 2” und dass die Atomzahl von Wasserstoff “1” ist, was in der Vergangenheit passiert ist, ob Gott existiert oder nicht, oder sogar, dass Mord falsch ist, objektive Realitäten sind, über die wir einfach falsch liegen, wenn wir etwas anderes glauben als das, was einfach ist. In diesem Sinne gibt es eine objektive Wahrheit, denn es gibt Dinge, die einfach wahr sind, ob jemand damit einverstanden ist oder nicht.
Menschen mit dieser Sichtweise geben gerne zu, dass es in der Tat einige subjektive Wahrheiten wie "Vanilleeis ist lecker" gibt, weil der Inhalt ihrer Aussagen von Natur aus selbstbezogen ist, also eine Gefühlsaussage. Die Aussage sagt nichts über die Außenwelt aus, so dass sie natürlich für die eine Person wahr sein kann und für die andere nicht. Aber die allgemeine Idee ist, dass Aussagen, die sich auf die reale Welt außerhalb unseres Kopfes beziehen, notwendigerweise entweder wahr oder falsch sein müssen. Es gibt natürlich noch weitere Nuancen dazu, aber ich werde es dabei belassen.
Auf der anderen Seite gibt es die eher relativistische Ideologie. Nun, wenn man von relativistischer Ideologie spricht, spricht man nicht von einer einzigen Ideologie, sondern um eine Familie von kritischen Schulen. Die lassen sich aber eher allgemein als eine Familie von Ideen mit ähnlichen Themen erklären.
Als ich das erste Mal mit dem relativistischen Denken in Berührung kam, kam es mir offensichtlich absurd und falsch vor. Im Grunde genommen hieß der Relativismus für mich anscheinend, die Behauptung, dass es keine objektive Realität gibt. Oder, dass es keine Welt außerhalb unseres Kopfes gibt, der Aussagen entsprechen. Dies schien die unvermeidliche Folge der Behauptung zu sein, dass es widersprüchliche “Wahrheiten” geben könnte, wie die Behauptung, dass das Christentum und der Islam beide wahr sein könnten.
Deswegen war meine einfache Antwort auf den Relativismus bis vor kurzem, dass es sich dabei um eine Ideologie handelt, die in sich selbst widersprüchlich ist und behauptet, dass es keine objektive Wahrheit gibt und sie daher auch nicht objektiv wahr sein kann.
Ich habe manchmal das Gefühl, dass die christliche Kritik am Relativismus auf populärer Ebene hier gelandet ist, aber ich glaube, dass das eher nicht ausreicht. Was habe ich übersehen? Ich denke, das Wichtigste war, dass es einen wichtigen Unterschied zwischen auf der einen Seite Wahrheit und auf der anderen Seite Realität gibt; einen Unterschied zwischen dem Wahrgenommenen und dem Wahrnehmenden.
Relativismus ist nicht ohne Grundlage
Die Behauptung, dass es keine objektive Realität gibt, ist wirklich der Tat absurd. Aber zu behaupten, dass es keine objektive Wahrheit gibt, ist gar nicht so crazy wie beim ersten Eindruck.
Der Schwerpunkt liegt dann nicht auf der Vorstellung, dass es außerhalb von uns keine Welt gibt, über die wahre Dinge gedacht werden könnten, sondern vielmehr darauf, dass die menschliche Fähigkeit, mit der Realität zu interagieren, zutiefst begrenzt ist. Und zwar bis zu dem Punkt, dass sie unsere Fähigkeit, objektiv zu sein, gefährdet. Und damit wird das Problem des Relativismus weniger absurd als vielmehr ein ernsthaftes Problem, über das es nachzudenken gilt.
Je nachdem, inwieweit man relativistischen Denken anhängt, besteht letztlich ein schweres Misstrauen gegenüber der Fähigkeit der Menschheit, wirklich etwas über die metaphysische Realität zu wissen. Metaphysisch bedeutet, jenseits des Physischen, oder im Grunde die letzte Wirklichkeit jenseits der Erscheinungen. Dem Relativismus zufolge, sind unser Verstand und unser Gehirn leider zu begrenzt und von subjektiven Kräften beeinflusst, um sich wirklich ein Bild von der Welt machen zu können. Und auf jeden fall zu begrenzt, mit Zuversicht zu sagen, dass wir die Realität überhaupt richtig erkennen.
Folgen wir also ein wenig dem Kaninchenbau. Worauf gründet sich diese Skepsis? Wir werfen einen sehr begrenzten Blick auf die Geschichte der Philosophie.
Die phänomenale und noumenale Welt
Immanuel Kant, selbst gewiss kein Relativist, führte im 18. Jahrhundert die Idee der noumenalen Welt und der phänomenalen Welt ein. Oder: die Welt der subjektiven Wahrnehmung: Phänomenale, im Gegensatz zu der realen Welt an sich: Noumenale. Der Grundgedanke war wesentlich das: wir Menschen können die Wirklichkeit nicht direkt erleben, als hätten wir irgendwie direkten Zugang dazu. Stattdessen haben wir nur Konzepte in unserem Kopf, die wir unseren Sinnesinformationen auferlegen, um sie zu verstehen.
Wenn ich zum Beispiel eine Blume betrachte, erlebe ich die Blume nicht nur irgendwie direkt. Meine Augen zeigen mir das Bild einer Blume, ich rieche etwas wie eine Blume, meine Hände sagen mir, dass ich etwas wie eine Blume in der Hand halte. Aber letzten Endes legt mein Verstand das Konzept einer Blume auf meine Erfahrung dessen, was mir meine Augen und Ohren sagen, und nur auf diese begrenzte Weise habe ich die Fähigkeit, die Realität wirklich zu erleben oder zu verstehen.
Das Problem ist, dass wir a priori keinen Grund haben, anzunehmen, dass die mentalen Konzepte, die wir unserer Erfahrung auferlegen, die reale Welt wirklich genau erfassen.
Konzepte wie Kausalität, Materie, Vergangenheit, Zukunft, Zusammensetzung, Form und Substanz, Identität usw. Beschreiben diese Konzepte die Realität, wie sie wirklich ist, oder funktionieren sie nur für uns? Es mag sein, dass sie uns helfen, als physische Lebewesen zu überleben, aber dass diese Begriffe tatsächlich der Welt entsprechen, wie sie wirklich ist, ist eine andere Sache. In Anbetracht dessen kam Kant zu dem Schluss, dass es für uns Menschen völlig unmöglich ist, die reale Welt an sich direkt zu kennen.
Ich kann einen Menschen sehen und dem, was ich sehe, mein Verständnis davon aufzwingen, was ein Mensch ist, ich kann den Himmel betrachten und meiner Erfahrung des Seins selbst meinen Glauben an einen übernatürlichen Gott aufzwingen. Aber ist unsere bloße Auferlegung dieser Konzepte mehr als eine bloße Auferlegung?
Schopenhauer und die Projizierung des Willens
Nach Kant kamen andere Philosophen, darunter auch Schopenhauer, der behauptete, dass wir nicht nur der Sinneswelt unsere geistigen Konzepte aufzwingen, sondern auch der Welt unseren eigenen Willen aufzwingen. Schopenhauer zufolge spielt unser Wille eine vorbewusste Rolle bei der Interpretation der Welt, wie wir sie erleben.
Das hieße praktisch: was wir für ein Phänomen der realen Welt halten, kann auch nur ein Ausdruck des Willens sein. Der König beispielsweise, der alle seine Untertanen als Sklaven ansieht, spiegelt damit keine objektive Realität wider, sondern zwingt der Realität seinen eigenen Willen auf und bringt in gewissem Sinne seine Wahrnehmungen durch seine Macht ins Dasein.
Oder, um ein relevanteres Beispiel zu nennen: Eine von Männern dominierte Gesellschaft ist natürlich von Männern geprägt. Aber Männer, deren Wahrnehmung der Welt von ihrem Wunsch nach Dominanz über Frauen geprägt ist, können auf der Grundlage dieses Eindrucks Entscheidungen treffen, die die Gesellschaft so gestalten, dass sie diese wahrgenommene Dominanz über Frauen tatsächlich zum Leben erweckt, und Strukturen der Unterdrückung und Macht schaffen, die Möglichkeiten für das, was Frauen in ihrem Leben tun können künstlich begrenzen. Daraus können Vorstellungen wie der "richtige Platz" der Frau entstehen, von dem angenommen wird, dass er eine objektive Realität in Bezug auf Frauen ist, der aber stattdessen eine gesellschaftliche Struktur ist, die durch den Willen der Männer in der Gesellschaft, die sie kontrollieren, durchgesetzt wird.
Nietzsche und Perspektivalismus
Der Philosoph Friedrich Nietzsche bemerkte außerdem, dass wir niemals ein objektives Verständnis der Welt haben - es ist sogar unmöglich. Jeder Mensch betrachtet die Phänomene, die vor ihm liegen, nicht als rein objektiver Betrachter, sondern als die Summe seiner früheren Erfahrungen, Hintergrundüberzeugungen, Gefühle usw. Wir alle sind in der Art und Weise, wie wir die Welt sehen, auf unsere eigene Perspektive beschränkt. Wir können sie nicht objektiv sehen.
Hören wir uns zum Beispiel schnell einige der Gedanken an, die Nietzsche in "Die fröhliche Wissenschaft" geschrieben hat:
Es ist erst recht nicht der Gegensatz von "Ding an sich" und Erscheinung: denn wir "erkennen" bei weitem nicht genug, um auch nur so scheiden zu dürfen. Wir haben eben gar kein Organ für das Erkennen, für die "Wahrheit": wir "wissen" (oder glauben oder bilden uns ein) gerade so viel als es im Interesse der Menschen-Heerde, der Gattung, nützlich sein mag: und selbst, was hier "Nützlichkeit" genannt wird, ist zuletzt auch nur ein Glaube, eine Einbildung und vielleicht gerade jene verhängnissvollste Dummheit, an der wir einst zu Grunde gehn.
Tja. Leichte Lektüre für einen schönen Blick in den Abgrund. Aber was Nietzsche hier zu sagen hat, ist äußerst wichtig und legt einen weiteren Baustein für die weitere Analyse des Perspektivismus der menschlichen Erkenntnis.
Kritische Theorien
Und seitdem hat es eine enorme und sogar wachsende Anzahl von Analysen darüber gegeben, wie die menschliche Subjektivität den Glauben beeinflusst und sogar bestimmt. Von den Strukturen des Patriarchats, der weißen Vorherrschaft, des Materialismus, der religiösen Macht, des Eurozentrismus, des Rassismus, der Homophobie, der Transphobie usw. gibt es Studienrichtungen, die die menschliche Fähigkeit, die Welt objektiv zu sehen, ernsthaft in Frage stellen, und metaphysische Ideen, die angeblich eingeführt wurden, um bestimmte soziale Normen durchzusetzen, werden wirklich stark in Frage gestellt.
Die Tatsache, dass wir heute die Welt betrachten und feststellen können, dass es unendlich viele Varianten gibt und gab, wie man über die letztendliche Realität, die Religion, die letztendliche Natur und den Zweck des Menschen usw. denken kann, bringt uns dazu, uns ernsthaft zu fragen, wie objektiv unser Glaubensbildungsprozess als Menschen wirklich ist oder eben sein kann. Kann es wirklich so etwas wie eine objektive Sichtweise unsererseits geben? Oder können wir es überhaupt wagen, so etwas wie eine objektive Wahrheit zu behaupten?
Ich würde argumentieren, dass der Relativismus keineswegs behauptet, dass es keine objektive Realität gibt, über die man wahre Überzeugungen haben könnte, sondern vielmehr, dass wir als Menschen einfach nicht die Fähigkeit haben, dies zu erreichen. Wir sind zutiefst von unserer eigenen Geschöpflichkeit, unserem Hintergrund, unseren Gefühlen, der Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind, usw. beeinflusst, und daher sollte die Zuversicht, die wir haben können, ob wir wirklich wahre Überzeugungen haben oder nicht, durch dieses Verständnis stark gemindert werden.
Und noch weiter, der Relativismus als allgemeine Tendenz hat angesichts dessen den Begriff der Weltanschauung allmählich von der Idee der Wahrheit abgekoppelt.
In der westlichen Welt und besonders in Kontinentaleuropa trifft man immer häufiger auf diejenigen, die die bloße Idee der Wahrheit ernsthaft in Frage stellen, wenn es um philosophische und religiöse Überzeugungen geht. Ich würde sagen, dass hier oft eine Ausnahme für naturwissenschaftliches Wissen gemacht wird, denn es hat den Vorteil, dass es greifbar und besser überprüfbar ist, aber letztendlich beruht auch die Wissenschaft selbst auf einer beträchtlichen Anzahl von metaphysischen Annahmen, die selbst nicht greifbar sind. In diesem Artikel gehe ich näher auf das Thema Szientismus ein.
Stattdessen hat die allgemeine Vorstellung, dass wir nicht den Anspruch erheben dürfen, objektiv genug zu sein, dazu geführt, dass die Menschen das Bedürfnis haben, den Status der Weltanschauung eher in Richtung einer subjektiven Präferenz zu verschieben als eine Reihe von Überzeugungen über die Welt, die sie richtig beschreiben. Aus diesen Erkenntnissen entstehen die Ideen von "meiner Wahrheit" und "deiner Wahrheit".
Darüber hinaus hat sich der Schwerpunkt der Weltanschauungsbildung weg von der Idee, sich einer objektiven Realität anzupassen, hin zu einem Ausdruck von Individualität, Freiheit und Autonomie durch die eigenen Überzeugungen, Ideen und Wahrnehmungen über die Welt verlagert.
Die Metaphysik selbst wurde letztlich als scholastischer Irrglaube abgetan, dem der Blick für das große und Ganze fehlte.
Eine echte Herausforderung
Wie soll ein normaler und orthodoxer Laienchrist wie ich das alles betrachten? Denn viele würden behaupten, dass mein Vertrauen in meinen christlichen Glauben durch diese allgemeinen Erkenntnisse ernsthaft erschüttert würde. Oder zumindest, dass es keinen Sinn macht, meine Überzeugungen öffentlich zu vertreten.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich so weit gehen würde. Aber zunächst möchte ich drei Punkte anführen, in denen ich der relativistischen Denkweise zustimme und lobe. Danach dann habe ich einige Punkte zu besprechen, in denen sie meiner Meinung nach zu weit geht.
Erstens: dass die menschliche Fähigkeit, die Welt zu erkennen begrenzt ist, ist natürlich richtig. Wir sind zutiefst von der umgebenden Kultur, eigenen Vorurteilen, unserem Willen und unserer kreatürlichen Natur beeinflusst. Letztendlich werden wir immer nur ein perspektivisches Verständnis der Realität haben. Und damit müssen wir irgendwie klarkommen.
Wir müssen verstehen, dass unser Wissen über die Welt nicht mehr als ein Wassertropfen in wirklich einem Ozean möglichen Wissens ist. Und das Erlernen neuer Dinge kann ein neues Licht schaffen, durch das man alles andere sieht. Der schmerzvolle Umkehrschluss ist ja, dass für jede Sache, die man nicht weiß, das eine weitere Schicht der Dunkelheit oder Unwissenheit über unser Wissen ist.
Das ist einer der Gründe, warum ich mich persönlich mit Philosophie beschäftigt habe. irgendwann wurde es mir deutlich klar, dass: wäre ich in einer anderen Kultur geboren, würde ich sehr wahrscheinlich ganz anders über die Welt denken, religiös, philosophisch, wirtschaftlich usw. Wenn ich ein anderes Geschlecht, eine andere Hautfarbe oder einen anderen wirtschaftlichen Status hätte, würde ich die Welt mit höher Wahrscheinlichkeit auch anders sehen. Es ist äußerst wichtig, dies auf einer tieferen Ebene zu erkennen.
Alles was von verschiedenen Philosophen in Bezug auf unser Bedürfnis, unsere eigenen menschliche Konzepten auf die Natur aufzuzwingen gesagt wurde stimmt auch. Als Menschen haben wir da keinen Ausweg.
Wahr ist es auch, dass wir dazu neigen, unsere Wille auf die Welt zu projizieren, und so handeln, als wäre was wir dadurch erfahren Wirklichkeiten. Ein einfaches Beispiel wäre Wut - wenn man auf jemanden wütend ist, neigt man dazu, ihn als böse wahrzunehmen. Aber wahrscheinlich ist er nicht weniger oder mehr böse als andere um ihn herum.
Darüber hinaus gibt und gab es in der Tat gesellschaftliche Machtsysteme der ideologischen Strukturen, die wenig mit der Realität zu tun haben, die aber als Realitäten wirken und unser Leben bestimmen. Ich denke schon, dass diese zu einem gewissen Grad hinterfragt werden müssen. Hier muss man vorsichtig sein, aber das ist ein anderes Gespräch. Diese Phänomene existieren und es bringt uns nichts, sie zu leugnen. Wichtig ist am Ende, welche Schlüße man daraus zieht.
Dadurch kommen wir zum zweiten Punkt. Im Licht dessen sollte es völlig klar sein, dass wir denjenigen, mit denen wir nicht übereinstimmen, aufgeschlossen zuhören und wirklich nach der Wahrheit suchen müssen, anstatt nur das zu verteidigen, was uns bequem ist. Unsere Überzeugungen verdienen nicht viel Respekt, wenn unser Verpflichtung der Realität gegenüber ihnen nicht vorausgeht. Und das erfordert Zuhören und Lernen.
Ich bin manchmal etwas desillusioniert von den fundamentalistischen Gewissheitsansprüchen der Christen wie auch der Atheisten und sogar der Relativisten (dazu kommen wir später). Ich finde, dass man sich im Allgemeinen umso sicherer in seinen Überzeugungen fühlt, je weniger man von denen, mit denen man nicht übereinstimmt, aufrichtig zugehört hat.
Auch ist klar, dass wir uns von fundamentalistischen Gewissheitsansprüchen in Bezug auf Dinge verabschieden, von der wir uns in Wirklichkeit nicht sicher sind. Mit fundamentalistisch meine ich die Vermengung von moralischem Engagement und intellektueller Gewissheit. Damit meine ich keineswegs, dass wir die Idee, alles zu glauben, was wir für wahr halten, verwerfen sollten, sondern vielmehr, dass wir einen Schritt zurücktreten und erkennen sollten, dass alle unsere Überzeugungen selbst Phänomene in unserem eigenen Geist sind, die andere Ursprünge als eine rein rationale Glaubensbildung haben können.
Der dritte Punkt ist, dass wir darauf achten sollten, anderen Freiheit und Respekt für ihre eigenen Überzeugungen über die Welt zu gewähren. Mit anderen Worten: Es ist absurd, anderen Menschen unsere eigene Gewissheit über einen bestimmten Glauben aufzuzwingen und anzunehmen, dass sie schuldig sind, weil sie nicht das sehen, was wir sehen.
Diese Menschen glauben vielleicht nicht an die gleichen Dinge oder sogar an grundlegende weltanschauliche Prinzipien wie wir, und sie haben vielleicht eine völlig andere Erfahrung mit der Welt. Demut ist eine äußerst wichtige Tugend, weil sie von uns verlangt, nicht anzunehmen, dass wir mehr wissen, als wir wirklich wissen. Bitte hier notiere, dass ich damit nicht sagen will, dass es unter Christen keinen Bedarf an Rechenschaftspflicht gibt, da “wir uns unserer Glaubenssysteme nie sicher sein können.” Das würde zu weit gehen.
Meine Kritik am Relativismus
Es gibt einige Gründe, warum ich denke, dass der Relativismus viel zu weit gehen kann, sogar zu dem Punkt, selbst zu einer fundamentalistischen Behauptung zu werden, die kaum mehr Wert hat als der religiöse Fundamentalismus.
Erstens: Gewissheit ist keine Voraussetzung für Wissen.
Das hat viel mit unserer eigentlichen Vorstellung davon zu tun, was Wissen ist, weil die Behauptung, dass etwas die Wahrheit ist impliziert dass wir glauben es zu wissen. Traditionell haben Philosophen Wissen als dreiteilig verstanden. Gerechtfertigter (1) wahrer (2) Glaube (3). Damit wir eine Idee kennen, müssen wir Gründe haben, sie zu glauben (1), wir müssen sie tatsächlich glauben (3), und: sie muss wahr sein (2). Logisch.
Die zwei Teile die besagen, dass eine Idee wahr sein und geglaubt werden muss, um bekannt zu sein, sind ziemlich klar. Der dritte Punkt, die Rechtfertigung oder die Gründe, die wir haben, um an etwas zu glauben, scheint hier der Kern des Problems zu sein.
Und das ist die wichtige Frage: müssen wir einen sicheren oder unbestreitbaren Grund haben, um etwas zu glauben, bevor wir es wirklich wissen können? Ich denke, die Antwort lautet hier nein. In der Erkenntnistheorie (oder, die philosophische Studie des Wissens) hat sich das Konzept der anfechtbaren Wissens oder des Wissens, das ständig revidiert werden kann, allmählich als Konkurrent des traditionelleren Verständnisses von Wissen als zweifelsfreie Gewissheit etabliert.
Konkret bedeutet dies, dass die Vorstellung, man müsse sich einer Sache völlig sicher sein, bevor man sie wirklich wissen kann, einfach gar nicht mit der Art und Weise übereinstimmt, wie sich unsere Überzeugungen im täglichen Leben auswirken. Wenn meine Frau mir sagt, dass sie in den Supermarkt geht, um Lebensmittel einzukaufen, lasse ich sie nicht durch einen Lügendetektor laufen, überprüfe den Automotor, um sicherzugehen, dass er nicht ausfällt, prüfe die Verkehrsbedingungen, rufe die Polizei an, um ihr eine Eskorte zu geben, und rufe den Supermarkt an, um sicherzugehen, dass er geöffnet hat, damit ich endlich wissen kann, dass sie wirklich in den Supermarkt gehen wird.
In dem Fall, glaube ich nämlich das, was wahrscheinlicher ist; nicht dass wofür ich Gewissheit finden kann. Aufgrund des allgemeinen Verkehrsaufkommens, der Öffnungszeiten der Geschäfte, der Ehrlichkeit meiner Frau usw. habe ich aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Grund zu der Annahme, dass sie tatsächlich in den Supermarkt geht und Lebensmittel kaufen wird, und deshalb weiß ich, dass sie in den Supermarkt geht. Es mag Wissen sein, dessen ich mir im Vergleich zu anderem Wissen, das ich habe, weniger sicher bin, aber es ist trotzdem Wissen.
Warum ist das so wichtig? Es liegt darin, dass die Alternative darin besteht, dass ich mein Urteilsvermögen auf eine völlig unrealistische Art und Weise aussetze, mit der ich letztlich nicht konsequent leben kann. Stell dir vor, ich setze mein Urteilsvermögen außer Kraft und versuche, mich völlig agnostisch zu verhalten, ob sie tut, was sie gesagt hat, so dass ich, wenn mich jemand fragt: "Wo ist Ihre Frau", sage: “es gibt einige Gründe, die darauf hindeuten, dass sie jetzt einkauft. Aber am Ende kann ich kann das nie wissen".
Wenn ich im Verhältnis zu den Beweisen oder nämlich auf rationale Weise glauben will, darf ich weder glauben, dass sie mit Sicherheit gehen wird, noch darf ich glauben, dass sie mit Sicherheit nicht gehen wird. Tatsächlich ist es nach einer rein bayesianischen statistischen Analyse wahrscheinlicher, dass meine Frau tatsächlich im Supermarkt einkaufen geht. Das Rationale und das, wozu unser Verstand schon von Natur aus neigt, ist also, das zu glauben, was mit revidierbarer Sicherheit wahrscheinlicher ist. Es liegt ja auf der Hand, dass wir unsere Überzeugungen an den Beweisen für die Wahrscheinlichkeit ausrichten und nicht warten, bis wir uns einer Sache völlig sicher sind, um sagen zu können, dass wir sie so kennen, dass wir konsequent danach handeln können.
Die Revidierbarkeit des Wissens
Das wichtige Konzept hier ist die Revidierbarkeit. Abgesehen von mathematischen Wahrheiten und Wahrheiten der Vernunft ist unser gesamtes Wissen revidierbar, weil wir es letztlich nicht mit absoluter Gewissheit wissen. Es gibt einige Überzeugungen, die wir mit größerer Sicherheit wissen als andere - zum Beispiel, dass die Straße, auf der wir leben, existiert oder dass die Berliner Mauer 1989 niedergerissen wurde. Und es gibt andere Dinge, die wir mit weniger Gewissheit wissen, zum Beispiel, ob ich heute alles erreichen werde, was ich mir vorgenommen habe: und seien wir mal ehrlich, für mich sprechen die Statistiken dagegen.
Oder auch zum Beispiel, dass bestimmte historische Ereignisse stattgefunden haben, wie die Schlachten zwischen Sparta und Troja im alten Griechenland. Diese Überzeugungen haben ein gewisses Maß an Berechtigung, sind aber letztlich gar nicht vollkommen gewiss. Wenn ich auf neue Beweise stoße, die darauf hindeuten, dass sie tatsächlich nicht stattgefunden haben - ob zum Beispiel einige sehr gut erhaltene Schriften von Autoren aus der näheren Umgebung von Archäologen entdeckt werden, die darauf hindeuten, dass es sich völlig um erfundene Zivilisationspropaganda handelt -, würde dies mein Vertrauen in meinen Glauben untergraben und ich würde ihn revidieren. Glaube und Beweise stehen immer in einem gewissen Spannungsverhältnis oder Tanz zueinander, und ein Teil der Aufgeschlossenheit besteht darin, immer offen für neue Informationen zu bleiben und aufgeschlossen zu sein.
Religiöse Glaube erfordert keine Gewissheit um Wissen zu sein
Ich will damit sagen, dass der religiöse Glaube und der Glaube an metaphysische Realitäten ebenfalls hierher gehören. Es gibt keinen Grund, eine Ausnahme zu machen, als ob der Glaube an Dinge, die wir nicht sehen können, plötzlich ein mathematisches oder außergewöhnliches Maß an Gewissheit erfordert, um als Wissen akzeptiert zu werden.
Die Verpflichtung, die der religiöse Glaube verlangt, ist eben nicht die einer intellektuellen Gewissheit, sondern die einer phänomenologischen Intimität. Mit anderen Worten, die Intimität eines lebensverändernden Glaubens, der die Reue über die Sünden und die Kapitulation des Einzelnen vor dem Unendlichen in Gott bewirkt, erfordert nicht, dass wir mit absoluter Gewissheit wissen, dass Gott existiert, genauso wie meine Liebe zu meiner Frau es nicht erfordert, dass ich mit absoluter Gewissheit weiß, dass sie existiert oder mich im Gegenzug liebt. Ich vertraue darauf, dass das, was wahrscheinlicher erscheint, auch tatsächlich wahr ist, weil es letztlich die zuverlässigste Art ist, mit der realen Welt in Kontakt zu kommen. Dabei bestätige ich zwar dass ich mich irren könnte, aber ich vermute, dass das nicht so ist.
Zweitens: Die Annahme, dass wir wissen, dass unser Wissen begrenzt ist, um Skepsis gegenüber unseren kognitiven Fähigkeiten zu rechtfertigen, setzt implizit die Kenntnis einer sehr komplexen Reihe von Fakten voraus, um überhaupt zu dem Schluss zu kommen, dass wir uns irren.
Zum Beispiel 1) dass unsere Erinnerungen uns zuverlässig die Vergangenheit erzählen, 2) dass wir oder unsere Vorfahren bestimmte Dinge in dieser Vergangenheit geglaubt haben, und 3) dass die Dinge, die unsere Vorfahren geglaubt haben, tatsächlich falsch sind, 4) dass wir ausreichend in der Lage sind, die Welt wahrzunehmen, um zwischen wahren und falschen Dingen zu unterscheiden
Man sollte eigentlich erkennen, was für einen riesigen metaphysischen und erkenntnistheoretischen Wissensrahmen dies bereits impliziert. Selbst die Behauptung, dass unser Wissen begrenzt ist, setzt eine beträchtliche Menge an Wissen voraus, bevor wir das Argument überhaupt vorbringen können.
Drittens: Die Kritik am Wissen ist berechtigt, aber übereifrige Skepsis ist keine rationale Lösung.
Die Lösung für die Probleme, die die relativistische Wissenskritik aufwirft, besteht nicht darin, die Hoffnung aufzugeben, jemals etwas zu wissen, sondern darin, intellektuelle Demut zu zeigen. Der Schüler, der in der Arithmetik immer wieder Fehler macht, kann vom Lehrer korrigiert werden - aber nur, wenn er bereit ist, zu lernen.
Unsere falschen Vorstellungen von der Welt können korrigiert werden, indem wir denen zuhören, die anderer Meinung sind, und indem wir uns über die Welt, in der wir leben, informieren. Die Erkenntnis, dass wir von Natur aus nicht in der Lage sind, die Welt völlig objektiv zu kennen, kann uns lehren, bei der Bildung von Überzeugungen sehr vorsichtig zu sein, so dass wir am Ende ein genaueres Bild von der Welt haben als vorher.
Und da ich komme zurück auf den Begriff der Demut. Demut ist eine Tugend, die oft ein zweischneidiges Schwert ist. Demut sagt uns nicht nur, dass wir uns nicht anmassen sollten zu behaupten, Dinge zu wissen, die wir nicht wissen, sondern sie verlangt auch, dass wir uns nicht anmassen sollten, Dinge zu leugnen, die wir eigentlich anerkennen sollten.
Letztlich sind sowohl Skepsis als auch die Behauptung, dass man etwas nicht wissen kann, selbst Wahrheitsansprüche, die Beweise und Argumente erfordern. Und hier kommen wir zu einem extrem wichtigen Punkt.
Erkenntnistheoretisch gesehen geben wir als Gesellschaft dem Skeptizismus viel zu oft einen Freifahrtschein, in dem Sinne, dass wir von denjenigen, die skeptisch sind, nicht verlangen, ihren Skeptizismus so konsequent zu rechtfertigen, wie wir es von denjenigen verlangen, die positive Wahrheitsansprüche stellen. Aber der Skeptizismus selbst ist ein negativer Wahrheitsanspruch. Wenn man bezweifelt, dass Gott existiert, nimmt man keine neutrale Haltung ein. Man bejaht die Nichtexistenz Gottes, was eine intellektuelle Position ist, die ebenso viel Substanz hat wie die Behauptung, dass Gott existiert.
Oder wenn man einen gemäßigteren agnostischen Weg einschlägt, in dem man die Beweise für die Existenz Gottes anzweifelt, bejaht man die Tatsache, dass die Beweise nicht gut sind - wofür man in der Tat Gründe liefern muss, so wie man es von jemandem verlangen würde, der sie für gut hält.
Glaube wird von Rationalität verlangt
Die Vorstellung, dass derjenige, der sich ständig zurückhält, die Hände faltet und sich weigert, irgendetwas zu glauben, objektiver ist, ist ein Mythos, der auf der irreführenden Vorstellung beruht, dass Glaube immer ein übereifriger Ausdruck subjektiver Vorlieben ist. Versteht mich nicht falsch: Es ist in der Tat gut, sich am Anfang für eine bestimmte Zeit ein Urteil über die Dinge vorzubehalten, um sich ein möglichst genaues Bild von den Daten zu machen, um eine genaue Schlussfolgerung zu ziehen. Aber auch wenn das m.E. Weisheit ist, so kann man nicht für immer bleiben. Wenn es um Dinge geht, die für unser Leben von großer Bedeutung sind, ist es unmöglich, in einem Zustand der ständigen Neutralität zu leben. Wir werden folglich mit dem leben, was wir für wahrscheinlicher halten, und das lässt sich nicht vermeiden.
Das Beharren darauf, dass wir es einfach nicht wagen, ein Urteil über die Realität zu fällen, wenn wir uns nicht absolut sicher sein können, erweist sich daher als unbegründete und fundamentalistische Behauptung des Nichtwissens, die sich nicht rechtfertigen kann, ohne einen absurden erkenntnistheoretischen Standard für Wissen anzunehmen. In der Tat wird sie zu einer Art Kafka-Falle. In dem Moment, in dem man einen Einwand erhebt, werden seine Einwände so interpretiert, dass sie genau das Problem illustrieren, das vorgeschlagen wird. Man wehrt sich gegen die Vorstellung, dass man nichts wissen kann, nur weil der eigene Intellekt des armen Homo Deus so beschränkt ist, dass er nicht versteht, dass er so gut wie nichts wissen kann.
Zusammenfassend: mir scheint es absurd zu denken, dass die Lösung für die Erkenntnis, dass wir nicht die objektivsten Geschöpfe sind einfach darin besteht den Versuch aufzugeben objektiv zu sein - und stattdessen in unseren eigenen erfundenen Versionen der Realität versinken. Die vernünftigste Lösung wäre doch, diese Erkenntnis zu nutzen, um uns in unserem Kampf um Objektivität zu unterstützen.
Viertens: Die Vorstellung, dass der Mensch aufgrund der Begrenztheit seines Intellekts und seiner Fähigkeit, die Realität objektiv zu erkennen, kaum in der Lage ist, Erkenntnisse über metaphysische Realitäten zu gewinnen, wird irgendwie etwas unwahrscheinlich gemacht durch die Tatsache, dass einige heute gut belegte wissenschaftliche Theorien in der Kosmologie und der Physik nicht zuerst durch Beobachtung, sondern lediglich durch abstrakte mathematische Theorien des menschlichen Verstandes entdeckt wurden.
Gravitationswellen, Dunkle Materie, der Urknall, das Higgs-Boson-Teilchen und andere sind Entdeckungen, die durch menschliche Theorien vorhergesagt wurden, lange bevor sie durch wissenschaftliche Beweise gestützt wurden. In Anbetracht dessen neige ich zu der Ansicht, dass der menschliche Verstand zwar begrenzt ist, aber seine Fähigkeit, auf einer wichtigen Ebene mit der Realität in Kontakt zu treten, nicht unterschätzt werden sollten.
Fünftens und letztens: Die allgemeinen Punkte, die ich hier anspreche, implizieren auch, dass das Konzept einer ehrlichen und aufrichtigen Meinungsverschiedenheit doch möglich ist. Die Intuition vieler von uns, dass moralische oder intellektuelle Meinungsverschiedenheiten in erster Linie ein Kampf des Geschmacks und der Gefühle sind, leitet sich direkt von der relativistischen Doktrin ab, nämlich dass angesichts der völlig unobjektiven Herangehensweise der Menschheit an die Realität, Meinungsverschiedenheiten und das Aufeinanderprallen von Weltanschauungen nichts anderes sein können als das Aufeinanderprallen von Vorlieben, kulturellen Kräften oder Machtstrukturen in der Gesellschaft.
Aber wenn man diese zynischen Vorstellungen über die menschliche Natur als unangemessen abgetan hat, was man wohl tun sollte, beginnt man zu erkennen, dass Meinungsverschiedenheiten wirklich echt sein können, auch wenn das natürlich nicht immer so ist.
Wenn es etwas gäbe, von dem ich mir wünsche, dass es jedem Menschen in der westlichen Welt erklärt werden kann, dann wäre es dies: es ist möglich, mit jemandem respektvoll und liebevoll über seinen Lebensstil oder Überzeugungen anderer Meinung zu sein. Das ist nicht immer gleich Hass.
Ich denke, dass einer der Gründe, warum die Diskussionskultur in unserer Gesellschaft so voll bergab gegangen ist, darin liegt, dass niemand mehr glaubt, dass andere in der Lage sind, aufrichtig einer anderen Meinung zu sein.
Zusammenfassung
Letztendlich glaube ich, dass der Begriff "objektive Wahrheit" in einem strengen Sinne nur für etwas wie Gott möglich ist. Als Menschen haben wir nicht die Fähigkeit, etwas völlig objektiv zu sehen. Das Konzept der objektiven Realität ist jedoch etwas, das wir alle bejahen können sollten.
Und darüber hinaus ist es vernünftig zu denken, dass wir etwas über sie wissen können. Wir müssen aber vorsichtig sein, wie wir zu unseren Schlussfolgerungen kommen, weil es leicht ist, in die Irre zu gehen. Wissen über ultimative Realitäten ist möglich, weil Wissen weder absolute Gewissheit noch hundert prozentige Genauigkeit voraussetzt.
Und in diesem Licht sehe ich keine wesentliche Bedrohung für den christlichen Glauben oder Wissen über Dinge in der Welt, solange wir vorsichtig sind. Ich glaube zwar, dass das Christentum wahr ist, nicht weil ich 100% sicher bin, dass es wahr ist, sondern weil ich es für wahrscheinlicher halte als nichts. Und ja, so unpopulär das auch sein mag, ich bin der Überzeugung, dass Menschen, die das Christentum für falsch halten, wahrscheinlich (und nicht gewiss) falsch liegen.
Schließlich: Viele moderne Menschen sehen die Idee einer Welt der Wahrheit oder Realität außerhalb von uns selbst als eine Bedrohung an. Das kann ich durchaus verstehen, denn die reale Welt erhebt uns nicht nur, sondern sie tadelt uns auch. Aber am Ende kann ich mich da nicht einschließen.
Ich persönlich finde es extrem aufregend - ich meine, denk an all die Wunder und Reichtümer, die es mit sich bringt, die Wahrheit und Schönheit der wahren Welt zu entdecken und genießen, und nicht damit beschäftigt sein zu müssen, die eigene Realität zu behaupten und zu gestalten. Ist das nicht sowieso schon anstrengend?
Und, ehrlich gesagt, ich finde mich selbst im Grunde genommen ziemlich langweilig. In meinem Leben ist es IMMER erst wenn ich mich und meinen Eigenwillen aufgeben und über den Tellerrand hinausschaue, das ich wirklich das Gefühl habe, mein wahres Ich zu finden.
Denn ich bin nämlich nicht davon überzeugt, dass der Sinn des Lebens darin besteht, uns selbst zu erfinden oder nur unsere eigene existentielle Wahrheiten zu schaffen, sondern unser wahres Selbst zu finden, indem wir das suchen, was jenseits der Erscheinungen der Sterne und des Sonnenaufgangs wirklich liegt -- ja sogar auch dann, wenn ich das nicht perfekt kennen kann.
Vielleicht ist es auch so bei dir.
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