Richard Dawkins: Religion ist von Natur aus gefährlich
Wie sein Empirismus seine Fähigkeit, Religion klar zu sehen, verhindert

In Richard Dawkins' Buch Der Gotteswahn widmet er sich der Frage, warum er glaubt, dass Religion von Natur aus gefährlich ist.1 Die Hauptaussage seines Arguments ist, dass religiöse Menschen (in den von ihm angeführten Fällen Christen und Muslime) und vor allem die Religion selbst nicht nur zu Extremismus fähig sind, sondern von Natur aus dazu führen.
Religiöse Gemäßigte sind jedoch nicht besser, so Dawkins, denn sie ermöglichen und öffnen die Tür für diese Art von Extremismus. Der Hauptgrund dafür liegt in zwei wichtigen Behauptungen, die Dawkins über den Glauben aufstellt.
Für Religiösen ist der Glaube ohne Beweise eine Tugend
…Zum Teil hat es aber auch schlicht damit zu tun, dass der Glaube von seinem Wesen her kritische Fragen missbilligt. Das Christentum lehrt ebenso nachdrücklich wie der Islam, dass unhinterfragter Glaube eine Tugend ist. Man braucht für das, was man glaubt, keine Begründung. 2
Erstens: Religiöser Glaube macht aus dem Glauben ohne Beweise eine Tugend. Das bedeutet, dass ein Gläubiger, wenn er erst einmal in die Glaubensgemeinschaft hineingekonditioniert wurde (in seinen Worten: Gehirnwäsche), durch die allgemeine Haltung der Glaubensgemeinschaft und ihre vielen Rituale darauf vorbereitet ist, praktisch jede Behauptung zu glauben, die von der Hauptautorität ausgeht, die er unhinterfragt zu akzeptieren gelernt hat.
Religiöse Ansichten sind von Natur aus ohne logischen Inhalt
Aber wie kann es eine Perversion des Glaubens geben, wenn der Glaube selbst, dem ja die objektive Rechtfertigung fehlt, gar keine handfesten Maßstäbe besitzt die man pervertieren könnte?3
Zweitens: für Dawkins ist der eigentliche Inhalt und Akt des religiösen Glaubens etwas, das in erster Linie gefühlsbetont und vom rationalen Denken völlig entfernt ist. Das heißt, der religiöse Impuls ist nicht nur in seiner Begründung, sondern auch in seinem Inhalt frei von Rationalität oder propositionalem Gehalt. Er sieht ihn als eine evolutionäre Begleiterscheinung, die ein Nebenprodukt von etwas anderem ist, das uns beim Überleben hilft. Er macht keine genauen Angaben darüber, was dieses „etwas anderes“ sein könnte - aber ein Beispiel, das er anführt, wäre eine angeborene menschliche Veranlagung, das zu glauben, was die Ältesten sagen, weil es das Überleben fördert.
Diese religiöse Veranlagung des Menschen ist in Dawkins' Augen eine Krankheit, die ansonsten äußerst freundliche und intelligente Menschen korrumpiert. In seinen Worten: ein Geistesvirus.
Aufgrund Dawkins ersten Punktes (und der zugrundeliegenden Annahme, dass religiöser Glaube von Natur aus emotional und nicht rational ist) behauptet er, es kann keine objektiven Kriterien dafür geben, was zulässig ist und was nicht. Da der Glaube also keinen rationalen Inhalt hat, kann man nicht entscheiden, was dazugehört und was nicht. Alles, was es braucht, sind Machtansprüche und Menschen am richtigen Ort und zur richtigen Zeit, um extremistische Bewegungen hervorzubringen.
Warum Dawkins Behauptungen am Thema vorbeigehen
Dawkins' Argumente ergeben sich hier eindeutig aus seiner ursprünglichen Annahme. Das Problem ist, dass seine Ausgangsannahme des Empirismus4 falsch ist. In der Tat hat ihn diese Ideologie, wie bei vielen seiner anderen Argumente, für einige Aspekte der realen Welt blind gemacht.
Nämlich, 1) dass der christliche Glaube5 traditionell ausdrücklich die Vorstellung ablehnt, dass der Glaube ohne Beweise akzeptiert werden muss (oder sogar kann). Nach z.B. Thomas von Aquin und der katholischen Kirche kann die Existenz Gottes mit der Vernunft erkannt werden. Das gesamte Neue Testament geht eindeutig davon aus, dass der christliche Glaube nur aus der echten Überzeugung von seiner Wahrheit entstehen kann. Wie der Apostel Paulus schrieb: “Ist aber Christus nicht auferweckt worden, so ist euer ganzer Glaube vergeblich.”
Im Neuen Testament und mit wenigen Ausnahmen in der gesamten Geschichte der Kirche werden rationale Argumente für den christlichen Glauben angeführt, nicht rohe Autorität oder emotionale Manipulation, um Menschen zu überzeugen, sich anzuschließen. Nur Dawkins hält wahrscheinlich kein Argument für „rational“, es sei denn, es stützt sich speziell auf die Naturwissenschaft, ein Problem, auf das wir gleich noch eingehen werden.
Und 2) dass der religiöse Glaube nicht nur rationale Gründe hat, sondern auch einen rationalen Inhalt, der durchaus in der Lage ist, explizite Gründe dafür zu liefern, warum bestimmte Handlungen erlaubt oder nicht erlaubt sind.
Liest man seine Argumente, muss man sich Fragen: hat Dawkins jemals John Henry Newman über die logische Durchdringung der Substanz des Glaubens gelesen? Thomas von Aquin über das intellektuelle Erfassen des Inhalts der Offenbarung? Die moderne christlich-philosophische Kritik des logischen Positivismus? Oder was glaubt er, worüber die mittelalterlichen Philosophen und Theologen so heftig gestritten haben, wenn nicht über den tatsächlichen rationalen Inhalt und die Implikationen der grundlegenden Wahrheiten des christlichen Glaubens im Zusammenspiel mit der aristotelischen und platonischen Philosophie? Darüber hinaus lehrt die Kirche traditionell, dass das Naturrecht ein sicherer Wegweiser ist, um den Willen Gottes zu verstehen, der sich in der Endursächlichkeit der Natur ausdrückt.
Versteckte Ideologie
In der Tat ist seine Annahme so offensichtlich falsch, dass sie scheinbar eine vorgefasste Ideologie voraussetzt, an der so stark festgehalten wird, dass sie in der Lage ist, alle Beweise, die ihre Unrichtigkeit beweisen würden, zu verwerfen. Und das ist in der Tat der Fall. Sein humeanischer Empirismus hindert ihn daran, in allem, was über das hinausgeht, was mit einem Mikroskop oder einem Barometer messbar ist, einen rationalen Inhalt zu sehen. Diese Annahme kommt auch in seiner Analyse der Argumente für die Existenz Gottes zum Ausdruck, in dem er sich nicht mit der materialistischen Vorstellung verabschieden kann, Gott müsse zeitlich und komplex sein, um zu existieren - eine Annahme, die im klassischen Theismus und in der aristotelischen Philosophie ausdrücklich und mit wohldurchdachten Gründen abgelehnt wird.
Nun, Dawkins mag durchaus Recht haben, wenn er damit extremistische oder sektenartige Randerscheinungen im religiösen Bereich beschreiben will. Und die gibt es sicherlich. Aber wie überall in seinem Buch versäumt er es, zwischen extremen fundamentalistischen Christen und solchen innerhalb der langen Tradition christlicher Philosophie und Denkens zu unterscheiden, auf die diese Kritik nicht im Geringsten zutrifft.
Kapitel 8 der deutschen Ausgabe: “Was ist denn so schlimm an der Religion? Warum diese Feindseligkeit?” Die Diskussion beginnt auf Seite 421.
Ibid. Seite 427.
Ibid. Seite 428.
Empirismus: die Theorie, dass alles Wissen auf Erfahrungen beruht, die von den Sinnen abgeleitet sind. Daher kann der Glaube an einen übernatürlichen Gott nur buchstäblich Unsinn sein.
Für den christlichen Glaube kann ich sprechen, aber nicht für den Islam.